Ein Freund erzählte mir von einem preisgünstigen Flug von Frankfurt nach Indien mit Transitaufenthalt im Jemen, den er dort im Flughafenknast verbringen musste, weil er einen israelischen Stempel im Pass hatte. Eigentlich wären im Flugpreis pro Strecke ein bis zwei Hotelübernachtungen mit Vollpension in Sanaa enthalten gewesen, der Hauptstadt vom Jemen. Ich buchte diesen Flug. Er kostete 290 Euro nach Indien und zurück.
Hier und da fehlte eine Schraube im Flieger, aber die baumelnde Verkleidung hielt der gekonnten Landung in Sanaa stand. In der Altstadt von Sanaa herrscht ein Gewimmel. Schmale Gassen, in denen Handwerker kleine verzierte Holzfenster bauen, Läden mit kunstvoll gearbeitetem Geschirr, daneben eine Schmiede, überall orientalische Gerüche. Es ist märchenhaft, durch diese Welt zu laufen. Die Zeit scheint vor Jahrhunderten stehengeblieben zu sein.
Die Männer tragen Röcke, Pumphosen, Tücher und fast jeder hat einen Krummdolch am Gürtel. Waffen sind ein Statussymbol im Jemen. Die traditionelle Bekleidung aus Baumwolle ist seit Jahrhunderten unverändert geblieben und zumindest bei den Herren sehr praktisch. Bei den wenigen Frauen im Gewimmel hingegen dürfte die Kühlung nicht so gut funktionieren, sie sind schwarz verhüllt.
Bei steigender Hitze um die Mittagszeit bewegt sich alles langsamer. Die Männer sitzen herum und kauen Qat, ihre Backen füllen sich kugelrund und eine gewisse Gleichgültigkeit macht sich breit. Quat, die Nationaldroge, lähmt das Land. Sie ist der einzige Wirtschaftszweig, der hier im großen Stil funktioniert.
Unsere letzten Aufenthalte vor dem Krieg
Fast überall wurden wir herzlich empfangen. Aber es war schon ein gewisses Brodeln zu spüren, eine Unruhe, aus der im Jahr 2015 ein Krieg entstand, der das Land isolierte und eine humanitäre Katastrophe auslöste. Der Flughafen von Sanaa wurde teilweise zerstört, für die Zivilbevölkerung und sogar für Krankentransporte gesperrt. Es ist ein Stellvertreterkrieg, der von Mächten außerhalb des Landes gesteuert wird. Im Einsatz sind auch viele Waffen aus Deutschland.
Bei unserem vorletzten Besuch im Jahr 2008 liefen wir am Stadtrand einen felsigen Berg hinauf. Auf der Bergkuppe war eine Militärbasis und als wir auf halber Strecke Fotos über die Stadt machten, kamen sie mit Sturmgewehren. Mitkommen sollten wir, hoch auf den Berg, und die Kamera sollten wir sofort abgeben.
Ich sah uns schon als Spione im Knast sitzen, während unser Anschlussflug nach Indien startete. Oder das war eine dieser Entführungen, die im Jemen gelegentlich vorkommen. Die Opfer bemerken es manchmal gar nicht, da sie von den Entführern gastfreundlich bewirtet werden. Diese Leute hier waren nicht nett. Sie sprachen kein Englisch und wir versuchten, uns mit Handbewegungen und Sprachfetzen auszudrücken.
Ein Tauziehen um die Kamera ging los. Wir weigerten uns, mit zur Kaserne zu gehen und unsere Kamera abzugeben. Handbewegungen und Kommunikationsversuche nützten nichts, die Situation blieb unentspannt. Dann probierten wir es mit dem Wort almania, und das war das Zauberwort. Die Jungs mit den Gewehren ließen ab, wurden nett und machten uns klar, dass wir die Bilder jetzt löschen und verschwinden sollten. Sie gingen wieder auf ihren Berg, bis auf einen. Er hatte kein Gewehr, aber einen großen Stein in der Hand.
Wieder ging das Tauziehen los und er holte dabei mit seinem Arm aus und bedrohte uns mit dem Stein. Da hatte ich die Nase voll und sagte, dass ich gleich bis Drei zähle. Bei Drei rennen wir los. Der Typ verstand ja unsere Sprache nicht.
Wir sprinteten los, in der Höhenluft von 3.500 m. Der Blick zur Kaserne war frei und ich stellte mir vor, wie sich gleich eine Linie staubiger Einschläge auf uns zubewegt. Der Turban-Zwerg blieb zum Glück zurück und es kam auch kein Stein geflogen. Hinter einem Felsen sackten wir zusammen, außer Atem und mit weichen Knien. Fünf Wochen später besuchten wir das Land zum letzten Mal.